Universität Kassel und Hochschule Merseburg intensivieren sexualwissenschaftliche Forschungskooperation
Am 6. August 2014 trafen sich an der Hochschule Merseburg Sexualwissenschaftler_innen der Hochschule und der Universität Kassel. Vorausgegangen waren Vorabvereinbarungen, bei denen Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet wurden. Nun ging die Kooperation in ihre praktische Phase: Es fand ein erstes Forschungskolloquium zur Thematik “Sexualität ostdeutscher Jugendlicher und Erwachsener” statt, wofür die Hochschule Merseburg mit einem großen Fachliteraturbestand und der Folgestudie zur Sexualität ostdeutscher Jugendlicher, die von 1972 bis 2013 viermal durchgeführt wurde und damit einen einzigartigen Datenbestand beinhaltet, bundesweit die zentrale Expertise aufweist.
Die Forschungsgruppe aus Kassel, repräsentiert von Jun.-Prof. Alexandra Retkowski, arbeitet an Konzepten, um werdende Pädagog_innen und Sozialarbeiter_innen bereits im Studium zur Sensibilität gegenüber sexuellen Grenzverletzungen und sexueller Gewalt zu befähigen, unter anderem durch die Integration entsprechender Inhalte in die Lehre. Zudem wird in Kassel ein Forschungsprojekt zu berufsbiographischen Identitätskonzeptionen über Sexualität und Macht von Pädagog_innen durchgeführt. Hierbei werden auch die berufsbiographischen Wege von ostdeutschen Frauen und Männern in Interviews erhoben. Alexandra Retkowski wird hierbei, wie der von Merseburger Seite an der Kooperation initiativ beteiligte Forschungsprofessor Heinz-Jürgen Voß, aus Bundesmitteln im Rahmen der Förderlinie “Sexualisierte Gewalt in pädagogischen Einrichtungen” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert, die im Anschluss an den Runden Tisch “Sexueller Kindesmissbrauch” aufgelegt wurde. Im Jahr 2011 musste der Runde Tisch noch konstatieren:
“Bislang wird das Thema an den Hochschulen viel zu wenig behandelt. Sexueller Missbrauch von Kindern ist, ebenso wie Vernachlässigung und Misshandlung, auch in der Wissenschaft vielfach ein Tabuthema. Das hat weitreichende Folgen. Da es kaum Professorinnen und Professoren, Doktorandinnen und Doktoranden und Habilitierende gibt, die sexualisierte Gewalt zum Schwerpunkt haben, werden nur ausnahmsweise Vorlesungen und Seminare zum Thema angeboten. Die nachwachsende Generation wird in ihrer Ausbildung kaum mit der Thematik konfrontiert.” (Abschlussbericht 2011: 43)
Das zu ändern ist auch Ziel der Forschungskooperation, wobei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zusammentreffen. An der Hochschule Merseburg wird insbesondere daran gearbeitet, Kinder und Jugendliche zu stärken und mit einer offenen Sexualkultur dazu beizutragen, dass es Kindern und Jugendlichen überhaupt möglich wird, über erfahrene sexuelle Grenzverletzungen und Gewalt zu sprechen. Hierfür werden auch Lösungsmöglichkeiten gemeinsam mit Beratungsstellen und Selbstorganisationen gesucht. Die Kooperation mit Beratungsstellen ist auch der Kassler Forschungsgruppe Anliegen, gleichzeitig zielt sie zentral darauf, Pädagog_innen zu befähigen, sexuelle Grenzverletzungen zu erkennen sowie ihnen z.B. im Schulalltag vorzubeugen. Sowohl Kassel als auch Merseburg haben sich in Hinblick auf die Aus- und Fortbildung im Bereich der Familienplanung und Sexualpädagogik bereits größere Verdienste erworben.
Im Rahmen der Forschungskooperation findet nun ein regelmäßiger Fachaustausch statt, alternierend in Merseburg und Kassel. Neben regelmäßigen Forschungskolloquien ist der Transfer von Lehre und der Studierendenaustausch vorgesehen. Zudem sollen Klausurwochen und ein Fachtag auf den Weg gebracht werden, die sich schwerpunktäßig der Schnittstelle Wissenschaft und Praxis zuwenden sollen. In diesem Theorie-Praxis-Transfer verstehen sich Hochschule und Universität als Dienstleister_innen. Sie wollen die Praxispartner_innen – Beratungsstellen, Projekte, Selbstorganisationen – einladen, ihre Fachexpertise einzubringen. Forschung und Praxis sollen so mehr in Diskussion miteinander kommen.
Kontakte:
Forschungs-Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, Hochschule Merseburg:
Jun.-Prof. Dr. Alexandra Retkowski, Universität Kassel: