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Wie können sich Kinder und Jugendliche (gut) anvertrauen?

Bei einem Verständnis über eine professionelle Vertrauensbeziehung ist auf die Manipulations- und Instrumentalisierungsmöglichkeiten zu verweisen, die in pädagogisch-professionellen Kontexten kritisch reflektiert werden sollten.

Entwicklung von Vertrauen

Zwischen Fachkräften und Kindern und Jugendlichen muss die Bildung von Vertrauen als dynamisch-zirkulärer Interaktionsprozess verstanden werden. Hierbei stehen die Beteiligten in einer Abhängigkeit zueinander. Aufbau und Erhalt von Vertrauen entstehen durch eine freiwillige Vergabe und treten als »Moment des Arbeitsbündnisses« in Erscheinung. In diesem Moment wägt der_die Vertrauengebende ab und betrachtet sowohl die Vertrauenswürdigkeit des_der Vertrauennehmenden sowie die Vertrauenssituation, um eine Entscheidung zu treffen. Es findet ein Abwägen zwischen Nutzen und Risiko statt. Mit Blick auf die möglichen Auswirkungen in der Zukunft wird versucht die möglichen Folgen einer Vertrauensvergabe einzuschätzen. Es wird immer ein Risiko vorhanden sein, doch muss dies für die Kinder und Jugendlichen als akzeptabel eingestuft werden.

Erst nachdem ein Vertrauensaustausch über einen längeren Zeitraum wechselseitig stattgefunden hat, kann dieser als Vertrauensbasis zwischen den Interaktionspartner_innen gesehen werden.

Stufenmodell nach Lewicki und Bunker (vgl. Bruckner, 2016)

Lewicki und Bunker haben ein Stufenmodell entwickelt, dass die Dynamik von Vertrauen im Zeitverlauf betrachtet.

Während der ersten Stufe orientiert sich die Vergabe von Vertrauen an der »Kosten-Nutzen-Relation […] auf dem Prinzip von Kalkulation und Abschreckung« (Bruckner, 2016, S. 22). Situationsbedingt entscheidet der_die Vertrauengebende, ob Vertrauen vergeben wird. Wenn bereits auf der ersten Stufe das Vertrauen verletzt wird, kann sich dies negativ auf den weiteren Beziehungsaufbau auswirken. Die erste Stufe kann als instabile Beziehungsstufe benannt werden, muss jedoch durchlaufen werden, um auf die nächste Stufe gelangen zu können.

Auf der zweiten Stufe wird Vertrauen auf »wissensbasierter Ebene« (ebd., S. 23) vergeben. Wiederholte, regelmäßige Begegnungen ermöglichen es, die andere Person aufgrund gesammelten Wissens besser einschätzen zu können. Das Verhalten der anderen Person wird vorhersehbarer. Da auch Fehltritte verziehen werden können, ist diese Stufe als durchaus stabil zu bezeichnen. Hinsichtlich der dritten und letzten Stufe wird von einer »identifikationsbasierten Vertrauensebene« (ebd., S. 23) gesprochen. Auf dieser Stufe ist von einer besonders stabilen Beziehung die Rede. Aufbauend auf dem Wissen über die andere Person, das in der zweiten Stufe erlangt wurde, findet hier eine Identifikation mit dem Gegenüber statt. Zwischen den beteiligten Personen werden viele ähnliche Bedürfnisse und Vorlieben geteilt. Ein ähnliches Lebenskonzept und -verständnis ist vorhanden. Diese dritte Stufe erreichen nicht viele Beziehungen.

Die Vertrauensvergabe gegenüber Fachkräften ist für Jugendliche keine einfache Aufgabe. Vertrauen kann nicht eingefordert oder gar erzwungen werden.

Dass Fachkräfte eine identifikationsbasierte Ebene anstreben, ist für die professionelle Arbeitsbeziehung keine Option, da bei dieser Ebene die wichtige Variable der Distanz zu den Kindern und Jugendlichen außer Acht gelassen werden würde. Mit einer Vertrauensbasis auf der wissensbasierten Ebene ist für Jugendliche eine Vertrauensvergabe im Kontext einer Offenlegung von sexualisierter Gewalt möglich.

Im Kontext der Vertrauensentwicklung zeigen verschiedene Studien (vgl. Tiefel/Zeller, 2012), dass trotz der nötigen Gestaltung des Nähe-Distanz-Verhältnisses im Rahmen der o.g. wissensbasierten Ebene vor allem im Jugendhilfebereich Erfahrungen im Bereich von persönlichen Vertrauenserfahrungen die Jugendliche mit Fachkräften machen von Bedeutung sind. Das Sprechen über intime Themen wie Sexualität mit Fachkräften scheint von diesen individuellen persönlichen Erfahrungen und den daraus folgenden Einschätzungen insbesondere abhängig zu sein (vgl. Linke, 2020).

Auf bestimmte Punkte haben Fachkräfte keinen Einfluss:

  • Charakter und Verhalten: Auch Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Sympathien zu Menschen und mögen die Einen mehr als die Anderen. So ist für Kinder und Jugendliche der Beziehungsaufbau zu einer Fachkraft einfacher, wenn eine positive Beurteilung zur Person vorliegt.
  • Vertrauenserfahrungen der Jugendlichen: Die mögliche Entwicklung von Vertrauen basiert auf Erfahrungen die Kinder und Jugendliche mitbringen. Wenn Jugendliche bereits schlechte Erfahrungen mit Fachkräften gemacht haben, kann dies für die Vertrauensentwicklung mehr Zeit oder intensivere Beziehungsarbeit bedeuten.
  • Sinn und Zweck der Beziehung: Kinder und Jugendliche müssen die Beziehung als sinnvoll für sich selbst beurteilen. Wenn die Fachkraft ihnen gegenüber nicht als helfende Instanz wahrgenommen wird, wissen sie nicht warum sie mit dieser Person im Kontakt stehen müssen und lehnen ggf. einen Beziehungsaufbau ab.
  • Persönliche Eigenschaften bspw. Alter und Geschlecht: Durch das gleiche Geschlecht kann bspw. eine Bündnisbildung mit der Fachkraft wahrgenommen werden. Eine Gemeinsamkeit liegt vor, eine Identifikation auf dieser Ebene ist möglich. Bei negativ eingeordneten Erfahrungen mit einem Geschlecht kann es zu einer Ablehnung durch die Jugendlichen kommen. Auch das Alter der Fachkräfte spielt eine Rolle bei der Einschätzung der Jugendlichen und diese ist ebenso von ihren biografischen Vorerfahrungen abhängig (vgl. Linke, 2020, Mantey, 2017, 2018)

Call for Papers

Literatur:

Arnold, Susan (2009): Vertrauen als Konstrukt. Sozialarbeiter und Klient in Beziehung. Marburg: Tectum-Verlag.

Bruckner, Beatrice K. (2016): Organisationales Vertrauen initiieren. Wiesbaden: Springer-Gabler.

Fabel-Lamla, Melanie/Welter, Nicole: Vertrauen als pädagogische Grundkategorie. Einführung in den Thementeil. Zeitschrift für Pädagogik 58 (2012) 6, S. 769-771, https://www.pedocs.de/volltexte/2015/10482/pdf/ZfPaed_6_2012_FabelLamla_Welter_Vertrauen_Einfuehrung.pdf (15.01.2020).

Linke, Torsten (2020): Sexuelle Bildung in der Kinder- und Jugendhilfe. Die Bedeutung von Vertrauenskonzepten Jugendlicher für das Sprechen über Sexualität in pädagogischen Kontexten. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Mantey, Dominik (2015): Sexualpädagogik in der Heimerziehung? Ja gerne, aber ich entscheide selbst! Sozialmagazin. Ausgabe 2, Jahr 2015, Seite 70-79.

Mantey, Dominik (2017): Sexualerziehung in Wohngruppen der stationären Erziehungshilfe aus Sicht der Jugendlichen. Weinheim: Beltz Juventa.

Mantey, Dominik (2018): Nähe und Anerkennung als Voraussetzungen der Sexualerziehung in Wohngruppen. Sozialmagazin. Ausgabe 02, Jahr 2018, Seite 91-97.

Tanger, Irina (in Erscheinung): Vertrauen als Voraussetzung für Disclosure-Prozesse bei Kindern und Jugendlichen. In: Krolzik-Matthei, Katja/Linke, Torsten und Urban, Maria (Hrsg.): Schutz von Kindern und Jugendlichen: Herausforderungen durch Sexualität und sexualisierte Gewalt in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Tiefel, Sandra/Zeller, Maren (2012) (Hrsg.): Vertrauensprozesse in der Sozialen Arbeit. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Wagenblass, S. (2015). Vertrauen. In Otto, H.-U. & Thiersch, H. (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 5. erweiterte Auflage (S. 1825–1835). München und Basel: Reinhardt.