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Wie verhalte ich mich im Gespräch mit betroffenen Kindern und Jugendlichen?

An was Sie beim Gespräch noch denken müssen:

Bedenken Sie: Bei Übergriffen unter Geschwistern haben Sie im Rahmen der SPFH ebenfalls Verantwortung für die übergriffigen Kinder.

Respektieren Sie Schamgefühle und Grenzen und vermeiden Sie Nachfragen, die das Kind in einen Erklärungszwang bringen (Warum war das so…?).

Stellen Sie offene Fragen (Was ist passiert?). Interpretieren und spekulieren Sie nicht, vermeiden Sie Bewertungen, bagatellisieren Sie das Berichtete nicht und nehmen Sie keine Abwertungen in Bezug auf die Schwere der Übergriffe vor. Besprechen Sie mit dem Kind die nächsten Schritte. Binden Sie es unbedingt weiter ein. Vertraulichkeit ist wichtig. Versprechen Sie dem Kind nur, was sie auch einhalten können. Schaffen Sie Transparenz über das weitere Vorgehen. Fragen Sie das Kind, ob es weitere Vertrauenspersonen einbeziehen möchte.

Besprechen Sie mit dem Kind, wenn Sie sich Unterstützung holen müssen und mit Kolleg_innen oder einer Fachberatung sprechen müssen. Dies gilt auch, wenn Sie zu der Einschätzung kommen, dass das Jugendamt informiert werden muss.

Bedenken Sie folgende mögliche Motivationen bei Kindern die ein Sprechen über sexualisierte Gewalt beeinflussen können:

  • Kinder können zu den übergriffigen Personen/Täter_innen ambivalente Gefühle haben,
  • Kinder wollen ihre Familie erhalten und/oder vor Schaden bewahren,
  • Kinder haben Angst vor Nachteilen und Bestrafung.

An was Sie nach einem Gespräch noch denken müssen:

Dokumentieren Sie das Gespräch. Notieren Sie berichtete Fakten und Beobachtungen aber keine eigenen Interpretationen.

Holen Sie sich Unterstützung: Ohne grundlegendes Fachwissen zu sexualisierter Gewalt besteht die Gefahr unprofessionellen Handelns in Form eines nicht angemessenen Intervenierens. Wahren Sie dabei die Anonymität des Kindes.

Nehmen Sie eine erste Gefährdungseinschätzung vor (orientieren sie sich dabei an ihrem Verfahrenskonzept zum Vorgehen bei Kindeswohlgefährdung).

  • Klären Sie folgende Fragen für die Intervention: Besteht die Situation gegenwärtig und ist sie akut im Sinne, dass das Kind weiterhin von sexuellen Übergriffen bedroht ist oder berichtet das Kind von einer zurückliegenden Situation? Besteht weiter Kontakt zu der/den Person(en) die die Übergriffe begangen haben? Bezieht sich die gegenwärtige Gefährdung auf mögliche weitere Übergriffe und/oder auf die (traumatischen) Folgen erlebter Übergriffe und deren Bewältigung? Um welche Form sexualisierter Gewalt handelt es sich? Ist es eine körperliche oder nicht-körperliche Grenzverletzung? Wo finden/fanden diese Übergriffe statt? Handelt es sich z.B. um Grenzverletzungen in der familiären Lebenswelt, der Peer-Group oder eine die auf den digitalen Raum begrenzt ist?
  • Ist ein Gespräch mit den Eltern/Sorgeberechtigten nötig und sinnvoll und kann dadurch eine weitere Gefährdung ausgeschlossen werden oder kann sich dadurch die Gefährdung erhöhen?
  • Kann die Gefährdung durch die vorhandenen Ressourcen in der Lebenswelt des Kindes abgewendet werden? Ist die ambulante Hilfe hier weiter geeignet? Fühlen Sie sich als Fachkraft in der Lage, diese Aufgabe weiter (allein) zu übernehmen? Welche Unterstützung gibt es im Netzwerk? Welche Angebote (z.B. Prävention, Beratung, Therapie) sind hinzu zuziehen? Muss das Jugendamt informiert werden? Ist eine Änderung des Hilfeplans, der Aufträge und der Stundenzahl, nötig? Ist eine Meldung nach §8a SGB VIII nötig?

Vermeiden Sie unbedingt, dass übergriffige Personen/Täter_innen von der Offenlegung erfahren und dadurch dem Kind eine Gefährdung droht (dies ist vor allem bei Übergriffen innerhalb der Familie von Bedeutung).

Nehmen Sie Kontakt zu einer Fachberatungsstelle auf und motivieren Sie das Kind in ihrer Begleitung, der Begleitung der Eltern bzw. in Begleitung einer Vertrauensperson diese aufzusuchen.

Sprechen sie sich mit einer Fachberatungsstelle ab, bevor sie weitere Schritte unternehmen.

Informieren Sie auf keinen Fall als erstes und ohne Absprache mit dem Kind (außer bei akuter Gefahr für Leib und Leben) die Polizei. Es geht als erstes um die Bedürfnisse und den Schutz des Kindes und nicht um eine Strafverfolgung und -ermittlung tatverdächtiger Personen (es besteht keine generelle Anzeigepflicht bei den Strafverfolgungsbehörden). Eine Anzeige kann später vorgenommen werden und dies erfolgt im besten Fall in Begleitung des Kindes durch eine Fachberatungsstelle. Informieren Sie sich über entsprechend geschulte Beamt_innen bei der Polizei. Vereinbaren Sie dort in Absprache mit dem Kind und den Eltern/Sorgeberechtigten (je nach Alter des Kindes und der Rolle der Eltern) einen Termin. Klären Sie eine Begleitung durch eine Vertrauensperson des Kindes ab.

Nutzen Sie unbedingt eine kollegiale Fallberatung und/oder eine Supervision um die Situation zu besprechen, das weitere Vorgehen abzustimmen. Überlegen Sie, ob sie die Hilfe weiter ausüben können und was sie dafür brauchen. Denken Sie auch an ihre eigene emotionale Belastung.

Dokumentieren Sie durchgehend alle Handlungsschritte.

Literatur:

Allerleirauh e.V. (Hrsg.) (2013): Zur Seite stehen. Ein Ratgeber für Mütter, Väter und andere Bezugspersonen von jugendlichen Mädchen und Jungen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. https://allerleirauh.de/allerleirauh/wp-content/uploads/2018/06/PDF3_ZurSeiteStehen.pdf (09.01.2020).

Zartbitter e.V./Enders, Ursula (Hrsg.) (2010): Ein Kind wurde sexuell missbraucht. Was kann ich tun? http://www.zartbitter.de/gegen_sexuellen_missbrauch/Muetter_Vaeter/8140_ein_kind_wurde_missbraucht.php (09.01.2020). Shukura - Fachstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt an Mädchen und Jungen (2013): Sexueller Missbrauch. Erkennen – Handeln – Vorbeugen. https://www.awo-shukura.de/download/broschuere_sexueller_missbrauch_erkennen_handeln_vorbeugen.pdf (09.01.2020).