Springe zum Inhalt

Woraus besteht ein Schutzkonzept?

Der Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragen für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBKSM) hat umfangreiche Materialien entwickelt, um schulische Institutionen auf dem Weg der Schutzkonzepterstellung zu begleiten. Die Materialien sind in vielerlei Hinsicht auf für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe adaptierbar, sodass es sich anbietet, auf sie zurückzugreifen.
Auf der Internetseite www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de werden interessierte Personen kleinschrittig durch den Prozess des Schutzkonzepterstellung geleitet und erhalten Anregungen zur Umsetzung der einzelnen Schritte. Im Laufe des Prozesses sollten sich Einrichtungen mit folgenden Bestandteilen auseinandersetzen:

  • Leitbild
  • Verhaltenskodex
  • Fortbildungen
  • Erweitertes Führungszeugnis
  • Partizipation
  • Präventionsangebote
  • Informationsveranstaltungen
  • Beschwerdeverfahren
  • Notfallplan
  • Kooperation

Unabhängig von der Art der Einrichtung bilden die Ressourcenanalyse (mitunter auch als Potentialanalyse bezeichnet) und die Risikoanalyse die Basis eines Schutzkonzepts.

Die Potentialanalyse

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind an viele Auflagen gebunden, die sie zum Erlangen einer Betriebserlaubnis erfüllen müssen. Darüber hinaus beinhalten Einrichtungskonzepte freier Träger in den meisten Fällen bereits viele sensibilisierte Vorgehensweisen zum Schutz und zur Sicherung des Kindeswohls.
Mit der Potentialanalyse als Ausgangspunkt der Schutzkonzeptentwicklung werden bereits vorhandene Strukturen festgehalten und gesichert. Sie können die Grundlage für das weitere Vorgehen bilden. Denkbar ist, dass bewährte Vorgehensweisen hinsichtlich der Themen Sexualität, sexuelle Selbstbestimmung und sexualisierte Gewalt konkretisiert und bereits vorhandene Angebote entsprechend angepasst werden. Auch die Betrachtung der Qualität der bestehenden oder abgeschlossenen pädagogischen Beziehungen zwischen Klient*innen und Fachkräften kann im Rahmen der Potentialanalyse aufschlussreich sein. Im Jugendhilfekontext bilden die Arbeitsbeziehungen das Fundament der Hilfe und damit auch die Grundlage für ein grenzachtes Miteinander. An folgenden Leitlinien der Reckahner Reflexionen kann sich zur Einordnung pädagogischer Beziehungen orientiert werden:

Was ethisch begründbar ist:

  1. Kinder und Jugendliche werden wertschätzend angesprochen und behandelt.
  2. Pädagogische Fachkräfte hören Kindern und Jugendlichen zu.
  3. Beim Rückmeldungen zum Lernen wird das Erreichte benannt. Auf dieser Basis werden neue Lernschritte und förderliche Unterstützung besprochen.
  4. Beim Rückmeldungen zum Verhalten werden bereits gelingende Verhaltensweisen benannt. Schritte zur guten Weiterentwicklung werden vereinbart. Die dauerhafte Zugehörigkeit aller zur Gemeinschaft wird gestärkt.
  5. Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte achten auf Interessen, Freuden, Bedürfnisse, Nöten, Schmerzen und Kummer von Kindern und Jugendlichen. Sie berücksichtigen ihre Belange und den subjektiven Sinn ihres Verhaltens.
  6. Kinder und Jugendliche werden zu Selbstachtung und Anerkennung der Anderen angeleitet.

Was ethisch unzulässig ist:

  1. Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte Kinder und Jugendliche diskriminierend, respektlos, demütigend, übergriffig oder unhöflich behandeln.
  2. Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte Produkte und Leistungen von Kindern und Jugendlichen entwertend und entmutigend kommentieren.
  3. Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen herabsetzend, überwältigend oder ausgrenzend reagieren.
  4. Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte verbale, tätliche oder mediale Verletzungen zwischen Kindern und Jugendlichen ignorieren.

Die Risikoanalyse

Die Risikoanalyse legt die verletzlichen Stellen einer Einrichtung offen. Diese werden unter den beiden Maßgaben, dass die Einrichtung nicht zum Tatort werden und darüber hinaus ein Kompetenzort sein bzw. werden soll, betrachtet und eruiert. Zahlreiche Ausgangsfragen können für die Analyse herangezogen werden:

  • Mit welcher Zielgruppe arbeitet die Organisation? Bestehen besondere Gefahrenmomente (z. B. bei Menschen mit Behinderung, bestimmten Altersgruppen etc.)?
  • Gibt es Regeln für den angemessenen Umgang mit Nähe und Distanz oder ist dies den Beschäftigten überlassen?
  • Gibt es spezifisch bauliche Gegebenheiten, die Risiken bergen?
  • Gibt es Fachwissen zu sexualisierter Gewalt auf allen Ebenen der Organisation?
  • Gibt es nicht aufgearbeitete Vorerfahrungen mit sexualisierter Gewalt?
  • Gibt es wirksame präventive Maßnahmen bei bereits identifizierten Risiken?
  • Welche Bedingungen, Strukturen oder Arbeitsabläufe könnten aus Täter*innensicht bei der Planung und Umsetzung von Taten genutzt werden?
  • Wie groß ist die Gefahr, dass Kinder oder Jugendliche in dieser Einrichtung keine Hilfe finden oder gar nicht danach suchen?

Im Rahmen der analysierten Risikofelder sollten entsprechende Maßnahmen formuliert werden, die einen geeigneten Umgang mit den Risiken ermöglichen oder entsprechend Abhilfe schaffen. Nicht immer sind adäquate Änderungen zur Minderung oder Vermeidung des Risikos umsetzbar, mitunter würden sie auch dem Einrichtungskonzept oder dem üblichen Hilfesetting widersprechen. Dennoch ist bereits durch die nähere Beleuchtung des Risikos innerhalb der Risikoanalyse ein sensibilisierter Umgang mit der potentiellen Gefahr gewährleistet.

Insbesondere für Einrichtungen der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe gibt es im Moment noch wenige Erfahrungen in der Schutzkonzepterstellung, auf die Fachkräfte zurückgreifen können. Zukünftig wird dies sowohl für die Praxis als auch die Forschung ein weiteres Lernfeld sein, in dem es gilt Standards zu entwickeln, die Kinder und Jugendliche in ihrer sexuellen Selbstbestimmung stärken und sie vor sexualisierter Gewalt schützen.

Literatur:

Deutsches Jugendinstitut für Menschenrechte/Deutsches Jugendinstitut e.V./MenschenRechtsZentrum an der Universität Potsdam/Rochow-Museum und Akademie für bildungsgeschichtliche und zeitdiagnostische Forschung e. V. an der Universität Potsdam (Hrsg.) (o. J.): Leitlinien. http://paedagogische-beziehungen.eu/leitlinien/ (09.01.2020).

Kavemann, Barbara/Nagel, Bianca/Hertlein, Julia (2016): Fallbezogene Beratung und Beratung von Institutionen zu Schutzkonzepten bei sexuellem Missbrauch. Erhebung von Handlungsbedarf in den Bundesländern und von Bedarf an Weiterentwicklung der Fachberatungsstellen. Berlin: Geschäftsstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Presse_Service/Hintergrundmaterialien/Expertise_Fachberatungsstellen.pdf (09.01.2020).

Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs - UBSKM (Hrsg.) (2012): Handbuch Schutzkonzepte sexueller Missbrauch. Befragungen zum Umsetzungsstand der Empfehlungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“. Bericht mit Praxisbeispielen zum Monitoring 2012 – 2013. Berlin: Geschäftsstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Presse_Service/Publikationen/UBSKM_Handbuch_Schutzkonzepte.pdf (09.01.2020).

Bundesinitiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ (Hrsg.): Informationen und Hilfestellungen, um Konzepte zum Schutz vor sexueller Gewalt zu erarbeiten. www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de (15.01.2020).