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Wie entwickelt und wie äußert sich kindliche Sexualität? Was ist normal, was nicht?

Um die sexuellen Bedürfnisse und Entdeckungen von Kindern richtig zu verstehen und einzuordnen, ist es wichtig, Kenntnisse über die kindliche Entwicklung, auch im Hinblick auf deren Sexualität, zu haben. In ambulanten Erziehungshilfen sind diese Kenntnisse vielfältig relevant. Sie sind Voraussetzung für die Arbeit mit Eltern, für die Unterstützung der Eltern in deren Erziehungsfähigkeit im Hinblick auf die sexuelle Erziehung der Kinder. Ebenso sind sie aber Voraussetzung um mögliche Fehlentwicklungen zu identifizieren, die wiederum auf die Überschreitung von Grenzen hindeuten können. Allgemein gilt: Verhinderung, Unterdrückung sind schädlich ebenso wie ein nicht altersangemessener oder auch unbegleiteter Umgang im Sinne: Die machen schon ihre Erfahrungen. Die SPFH ist für Eltern Ansprechperson in Erziehungsfragen. Dazu gehören auch Fragen zur sexuellen Entwicklung der Kinder und häufig auch die Frage danach, was normal ist und was nicht. SPFH sollten auch in diesem Feld kompetent sein und Antworten geben können.

Das Institut für Sexualpädagogik bietet dazu eine Übersicht (Quelle s.u.):

Erstes Lebensjahr

Allgemeine (sexuelle) Entwicklungsthemen

• Die sinnliche Wahrnehmung über die Haut und den Mund sind zentral.

• Über liebevolle Berührungen und sicheres Gehaltenwerden entwickeln sich positives Körpergefühl und Vertrauen in Beziehungen.

• Das Erleben, bei anderen Freude auszulösen, sinnlich und anregend zu wirken, trägt zu positivem Selbstgefühl bei.

• Gelernt wird die Fähigkeit, körperliche und seelische Nähe genießen zu können.

• Zum Ende des ersten Lebensjahres können Kinder sich selbstständig auf andere Personen zu- und von ihnen wegbewegen. Damit beginnt das aktive Erlernen von Nähe- und Distanzregulierung.

• Genitale Körperreaktionen sind von Geburt an vorhanden: Erektion bei Jungen und Feuchtwerden der Vagina bei Mädchen.

• Genitales Lustempfinden bei Berührungen (Pflege, Kitzeln) durch andere und zufällige eigene Berührungen.

Die psychosexuelle Entwicklung kann erschwert werden, wenn

• allgemein die Bedürfnisse nach Nahrung, Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit nicht ausreichend beachtet werden (die Zuversicht, dass Bedürfnisse bei Äußerung befriedigt werden, kann nicht entstehen).

• Körperkontakt vermieden wird oder durch Krankenhausaufenthalte unterbrochen wird.

• Die Hauptbezugspersonen keine positiven Emotionen als Reaktion auf das Kind zeigen.

• Das Kind systematisch gehindert wird, sich lustbetont – auch an den Genitalien – zu berühren.

• Das Kind durch Behinderung oder Einschränkungen von außen in seiner Bewegungsfreiheit beschnitten wird.

Zweites und drittes Lebensjahr

Allgemeine (sexuelle) Entwicklungsthemen

• Das Kind kann seine Motorik bewusst koordinieren: Somit werden gezielte Körperentdeckung, auch der Genitalien, durch Berühren und Anschauen möglich

• Das Kind erzeugt lustvolle Gefühle durch Selbststimulation.

• Es zeigt Interesse an den Genitalien der Eltern (Kinder wollen mit zur Toilette/ ins Bad).

• Unterscheidung der Geschlechter ist möglich.

• Zeigelust: Die eigenen Genitalien werden stolz präsentiert.

• Beginnende Beherrschung des Schließmuskels.

• Damit ist „Für-sich-Behalten“ vs. Loslassen möglich. Das erzeugt Stolz und Freude an der damit verbundenen Macht.

• Die Unterscheidung Ich / Nicht-Ich wird erlernt. Das heißt auch: Ich kann etwas falsch machen, werde von außen (kritisch) gesehen. Dies ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Scham.

• Das Erleben von Eigenständigkeit gibt Freiheit und macht Angst. Verzweifelter Trotz.

• Ab dem 3. Lebensjahr führt Masturbation manchmal zu erhöhter Aufmerksamkeit und/oder Problemen mit der Umgebung.

• An Vorbildern orientiertes rollenspezifisches Verhalten wird gezeigt.

• Die Kinder haben sich ihre soziale Geschlechterrolle irreversibel angeeignet, sie erproben sie in Rollenspielen.

• Erste Fragen nach Schwangerschaft und Geburt.

• Ab dem 3. Lebensjahr „sich Verlieben“ in Vater oder Mutter.

Die psychosexuelle Entwicklung kann erschwert werden, wenn

• Motorische Fähigkeiten zur Selbstberührung fehlen.

• Den Kindern keine Zeit und kein Spielraum beim Windelwechseln gelassen wird.

• Sauberkeitstraining forciert wird.

• Der kindliche Eigensinn extrem bekämpft wird oder ihm ganz nachgegeben wird (mangelnde Grenzerfahrung und Fähigkeit, Bedürfnisse auch etwas zurückzustellen können nicht erlernt werden).

• Masturbation verboten oder abgewertet wird.

• Kinder mit Behinderungen auf ständige Pflege angewiesen sind; sie können nicht gut Abgrenzung lernen.

Ab ca. 4. Lebensjahr

Allgemeine (sexuelle) Entwicklungsthemen

• Erlernen sozialer Regeln. Deshalb werden Rollenspiele wichtig für alle Lebensbereiche: Vater-Mutter-Kind, Einkaufen, Autofahren usw. Doktorspiele oder „Sexen“ stellen aus Perspektive der Kinder nur eine von vielen Varianten von Rollenspielen dar.

• Doktorspiele finden häufig zunächst vor allem mit dem gleichem Geschlecht statt: Zeigen, Betrachten, auch Manipulieren und Stimulieren.

• Auch wenn direkte Nachahmung erwachsener Sexualität (z.B. Aufeinanderlegen und Stöhnen, oder kurze Sequenzen von Lutschen, Lecken an Genitalien) seltener ist als das allgemeine Explorieren, stellt dies nicht automatisch eine bedenkliche Form von sexuellem Spiel dar.

• Verliebtheit in andere Kinder kommt häufig vor.

• Interesse an der Körperlichkeit anderer Kinder (Ausziehen, Vergleichen, gemeinsam zur Toilette gehen).

• Entwicklung von Körperscham wird möglich. Zeitweise tendieren sie deutlich weniger dazu, sich zu entblößen.

Die psychosexuelle Entwicklung kann erschwert werden, wenn

• Kontakte zu möglichen Rollenspielpartner_innen fehlen.

• Regeln für (Rollen)spiele fehlen (nicht zwingen, nicht wehtun, keine Gegenstände in Körperöffnungen stecken).

• Fehlinterpretationen eintreten und in weiterer Folge hierauf, dramatisierende Reaktionen auf Doktor- oder „Sexen“-Spiele erfolgen, entweder in Form allgemeiner Moralisierung oder auch durch Opfer-/Täter-Zuschreibungen.

• "Unsichere und ambivalente Reaktionen auf die Sexualität kleiner Kinder enthalten immer jene Doppelbotschaften, die Kinder in ihrer sexuellen

Identifikation verwirren, statt sie darin zu bestärken. Wie frei sich ein Kind fühlt, seinen Körper freudig zu erkunden, wird wesentlich davon abhängen, wie die Erwachsenen reagieren, mit denen es tagtäglich zu tun hat."

• durch ständige medizinisch-pflegerische Betreuung keine Schamentwicklung möglich wird (bei Kindern mit Behinderungen).

6. – 10. Lebensjahr

Allgemeine (sexuelle) Entwicklungsthemen

• Erotische Energie auch auf andere Dinge als den eigenen Körper gerichtet.

• Umwelt wird „sexualisiert“, im Sinne von erotisch aufgeladen: Es ist aufregend, in die Welt hinaus zu gehen.

• Phasen von Interesse und Desinteresse am anderen Geschlecht wechseln sich ab.

• Mit 6 / 7 Jahren manchmal viel Spiel mit Geschlechtsidentität (z.B. Kleidertausch).

• Das Gefühl von Geschlechtsstabilität ist mit ca. 7 Jahren gesichert.

• Freude an Annäherung an die (Erwachsenen-)Sexualität durch Experimentieren, Provozieren, Vulgärsprache, Witze machen.

• Alle Kinder vereint die Unsicherheit in der Begegnung mit dem Gegenüber sowie Scham, Scheu und der Drang danach, die Scham zu überspielen.

Literatur

BZgA (Hrsg.): Broschüre „Liebevoll begleiten“ Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Entwicklung vom 1. bis zum 6. Lebensjahr. https://www.bzga.de/infomaterialien/sexualaufklaerung/liebevoll-begleiten/ (09.01.2020).

BZgA (Hrsg.): „Über Sexualität reden...“ Zwischen Einschulung und Pubertät. https://www.bzga.de/infomaterialien/sexualaufklaerung/ueber-sexualitaet-reden-zwischen-einschulung-und-pubertaet/ (09.01.2020).

BZgA (Hrsg.) „Über Sexualität reden...“ Die Zeit der Pubertät. https://www.bzga.de/infomaterialien/sexualaufklaerung/ueber-sexualitaet-reden-die-zeit-der-pubertaet/ (09.01.2020).

Institut für Sexualpädagogik (Hrsg.) (2018): Psychosexuelle Entwicklung im Kindesalter. https://www.boell-nrw.de/sites/default/files/uploads/2018/06/handout_kindliche_sexualitat_-_gruner_salon_soest_-11_0.pdf (09.01.2020).

Landesjugendamt Brandenburg/ Strohhalm e.V. (Hrsg.) (2006): Kindliche Sexualität zwischen altersangemessenen Aktivitäten und Übergriffen. https://mbjs.brandenburg.de/media_fast/6288/kindliche_sexualitaet.pdf (09.01.2020).

Linke, Torsten (2015): Sexualität und Familie. Möglichkeiten sexueller Bildung im Rahmen erzieherischer Hilfen. Gießen. Psychosozial-Verlag. PDF-E-Book als Open Access unter: https://www.psychosozial-verlag.de/6943.

Schuhrke, Bettina (o.J.): Schamentwicklung. https://www.eh-darmstadt.de/fileadmin/user_upload/lehrende/Schuhrke/Schuhrke_Vortraege_Anhang.pdf (09.01.2020).